Diagnose - Und was jetzt? Bin ich falsch?

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von tngkng
Am
Beiträge: 2
Registriert: 8. Oktober 2021, 23:50

Diagnose - Und was jetzt? Bin ich falsch?

Hallo zusammen,

wo fange ich an...
Vielleicht erstens damit, dass ich vor gut drei Wochen die MS Diagnose erhielt und zweitens damit, dass ich etwas verunsichert bin weil ich mich überhaupt nicht krank fühle und ich keinerlei ähnliche Erfahrungen wie andere MSler gemacht habe.
Und genau das finde ich beunruhigend und bringt mich dazu diese Zeilen zu schreiben.

Zuerst ein kurzer Bericht des bisherigen Verlaufs...

Im Januar/Februar 2020 spürte ich ein sich von den Füßen her nach oben ausbreitendes Taubheitsgefühl auf der Haut.
Im Laufe einiger Tage breitete sich das bis auf Höhe der Brust aus.
Ich dachte mir erst nicht viel dabei nach dem Moto "nicht dran denken, dann geht es schon wieder weg", bis dann doch der Hausarzt konsultiert wurde.
Long story, short:
- MRT HWS (Halswirbelsäule) zwei Läsionen gefunden, im Kopf nichts
- Kurz darauf Liqoruntersuchung auffällig

Hier hatte ich dann auch ein paar emotionale Momente. Das hat mich dann schon etwas "gedownt".
Zu diesem Zeitpunkt habe ich angefangen im Internet zu recherchieren, was mein "Down" eher noch befeuert hatte.
Warum?
Ich las ständig Artikel mit Überschriften wie "Wenn der Alltag mit MS nicht alltäglich ist" oder "MS, Du kannst mich mal" oder "Trotz MS kreativ im Leben".
Inhaltlich konnte ich mich mit all dem überhaupt nicht identifizieren.
Nicht weil ich die Krankheit leugnen wollte. Nein, weil ich mich keineswegs so fühlte.
Also hörte ich auf dieses ganze Zeug zu lesen und konzentrierte mich auf die Diagnose und die nächsten möglichen Schritte.

Nach etwas Diskussion innerhalb wohl einer der in Deutschland führenden medizinischen Institute/Organisationen zum Thema MS (Rechts der Isar München) wurde die MS Diagnose !nicht! gestellt, da fehlende räumliche Dissemination.

Empfehlung: engmaschige Kontrollen (alle sechs Monate ins MRT) und schauen ob sich was ändert.
Diese Kontrollen durchgeführt und eher ein Rückgang der Entzündungsherde.
Taubheitsgefühl nach ein bis zwei Monaten auch vollständig verschwunden.

Alles gut, ich bin happy, mein Leben kann weitergehen wie bisher. Jehuu!

Nun dann...
Bei der letzten Kontrolle im August eine Läsion im Kopf die eventuell, unter Umständen, gegebenenfalls dann doch etwas sein könnte.
Nach Rücksprache mit den Ober-Capos des Neuro-Kopfzentrums des oben genannten Krankenhauses wurde dann die MS Diagnose gestellt.

Soviel bis jetzt!

Im Moment geht es um die Therapiebeginn und die Medikamentenfrage.

Und natürlich wird auch jetzt das Internet wieder bemüht und ich mache die gleich Erfahrung wie schon zuvor.

Ich kann mich mit All dem was es an Artikeln, Blogs, Ratschlägen etc. gibt keineswegs identifizieren.

Mir geht es körperlich und auch mental gut.
Ich kann nicht feststellen, dass die Krankheit bisher auch nur irgendeinen Einfluss auf mein Leben hat.
Ich treibe Sport, zu einigen Zeit durchaus auch über das Maß eines Normalsporttreibenen.
Ich fahre in den Urlaub.
Ich arbeite ganz normal.
Ich habe weder mehr Stress noch weniger.
Ich ernähre mich wie bisher (weitestgehend ganz gut, vielleicht könnte ich den Alkohol etwas reduzieren)
Zugegeben, mir ist natürlich klar, dass sich mit Therapiebeginn und Medikamentennebenwirkungen schon auch etwas ändern wird.
Doch es sieht eigentlich alles gut aus bei mir - körperlich wie mental.

Ehrlich gesagt ist genau das der Grund, weshalb ich auch so ein wenig beunruhigt bin.

Vielleicht habe ich einfach auch nur Sorge den drohenden "Donnerschlag" nicht zu hören oder ich brauche jemanden der mich auf den Boden der Tatsachen holt. So ganz sicher bin ich mir dabei nicht, was ich mit diesen Ausführungen eigentlich bezwecke. Vermutlich einfach in den Dialog mit Betroffenen gehen?!

Auch wenn ich mir mögliche Antworten wie "Sei froh, dass es dir so gut geht!" oder "MS ist eine so variable Krankheit" oder "Jeder nimmt das anders auf" etc. vorstellen kann, so freue ich mich über jegliche Art von Kommentar, Anmerkung, Frage, Hinweis oder Empfehlungen.

Liebe Grüße
Andreas

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von Glückskind66
Am
Beiträge: 7225
Registriert: 28. Juli 2014, 07:55

Re: Diagnose - Und was jetzt? Bin ich falsch?

Hallo Andreas,

willkommen in unserer Runde.

Ich versuche mich mal an einer Formulierung: Sei froh über das kleine Glöckchen, daß Dein Körper als Hilferuf für Änderungen in Deinem Leben gewählt hat. Er hätte auch die große Keule rausholen können.

Deine Geschichte ähnelt meiner. Ich bekam 2009 die Diagnose Myelitis, weil ich nur in der HWS Läsionen hatte und der Liquor auffällig war. Ohne Läsionen im Kopf konnte die MS nicht festgestellt werden.

Nach einer Kortisonstoßtherapie und einer Anschluß-Reha habe ich dann mein Leben normal weitergelebt ohne Medikamente. Es ging mir nicht die ganze Zeit gut, aber MS kam für mich auch nicht in Frage. Bei den Kontroll-MRT war vor 2014 alles unverändert. Dann fanden sich vier Läsionen im Kopf. Den zweiten Schub (der rechte Oberschenkel hat warm und kalt verwechselt) hatte ich durchaus gemerkt. Da mir aber klar war, daß es wieder auf Kortison hinauslaufen würde, habe ich Urlaub gemacht und alles funktionierte wieder normal.

Du solltest also davon ausgehen, daß die Ärzte sich mit der Diagnose nicht irren. Sie bedeutet ja nicht, daß Dein Leben vorbei ist. Auch ich gehe noch in Vollzeit arbeiten (auch wenn es mir schwerfällt, weil ich mir zusätzlich noch einiges angelacht habe). Sport mache ich auch, allerdings nicht aus Leidenschaft.

Es ist völlig normal, daß die Ärzte Dir jetzt den Beginn der Einnahme eines Medikamentes nahelegen. Sie wollen verhindern, daß weitere Läsionen entstehen, die Dir dann durchaus ernste Probleme bereiten können. Da mußt Du Dich umfassend informieren und am Ende Deine Entscheidung treffen.

Ich habe von drei Jahre lang Tecfidera genommen. Allerdings auch meine Ernährung umgestellt. Ich hatte einen Heilpraktiker zur Abklärung von Nahrungsmittelunverträglichkeiten konsultiert. Das Ergebnis war sensationell. Mittlerweile merke ich das andere Essen nur, wenn ich auswärts essen muß. Wegen der MS lasse ich allerdings Schweinefleisch so gut wie komplett weg.

Ich habe das Tecfidera wegen der Nebenwirkungen, die ich bei allen Medikamenten mitnehme, abgesetzt. Mein Neuro war einverstanden damit. Mittlerweile kann er besser damit umgehen und wir haben den Abstand der MRT jetzt auf anderthalb Jahre auseinandergezogen.

Die große Unsicherheit, ob meine Entscheidung richtig ist oder ein Medikament doch besser wäre, bleibt. Allerdings gibt es keine Garantie, daß das gewählte Medikament schützt. Und mir geht es in der Regel mit Medikamenten schlechter.

Du kannst Dir ja Zeit mit Deiner Entscheidung lassen, welche Maßnahmen Du ergreifst. Aber ich würde abraten, die MS zu leugnen. Das kann schiefgehen. Mir hat die Lektüre des Buches von Sven Böttcher „Diagnose unheilbar, Therapie selbstbestimmt“ bei meiner Entscheidung geholfen. Dazu gibt es auch eine Internetseite https://lsms.info/.

MS ist die Krankheit der 1000 Gesichter. Möglicherweise sind es noch mehr. Keiner kennt bisher die Ursache. Nach der gesicherten Diagnose, die die Ärzte nicht leichtfertig aussprechen, sollte man aber irgendwas an seinem Lebensstil ändern. Der Körper hat ein Signal gemeldet. Der kann auch ganz anders!

Ich hoffe, meine Ausführungen helfen Dir bei der Akzeptanz der Diagnose weiter und Du findest den für Dich richtigen Weg.

Alles Gute

Marga

P.S.: Die Nacht sollte für den erholsamen Schlaf da sein. ;)

von tngkng
Am
Beiträge: 2
Registriert: 8. Oktober 2021, 23:50

Re: Diagnose - Und was jetzt? Bin ich falsch?

Hey Marga,

vielen Dank für Deine Antwort, die mir durchaus hilft.

Natürlich werde ich mich mit den weiteren Schritten auseinandersetzen und habe mich bereits ziemlich umfassend bzgl. in Frage kommender Medikamente informiert.

Tatsächlich tue ich mir noch etwas schwer damit dem ganzen Thema zu viel Raum zu geben.

Daher ist es ganz gut Feedback wie Deines zu bekommen.

Liebe Grüße
Andreas

von cycling_laeti
Am
Beiträge: 2
Registriert: 9. März 2022, 09:01

Re: Diagnose - Und was jetzt? Bin ich falsch?

Hallo Andreas,
wie geht es Dir inzwischen? Ich bin leider neu hier und kann mich mit Deinem Geschriebenen gut identifizieren…
Mir geht es auch noch relativ gut, nur eine Läsion in der BWS und ich will immer noch glauben, dass ich nur eine einmalige autoimmune Reaktion auf XY habe…

Danke und glg
Laetitia