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MS im höheren Lebensalter

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Das Bild der heutigen Senior*innen hat sich geändert: Wer das Rentenalter erreicht, gehört nicht mehr wie früher zum „alten Eisen“. Man spricht sogar von den „neuen Alten“. Eine eigenständige Generation, die voll im Leben steht. Diese Beobachtung gilt auch für Menschen mit MS. Inzwischen gibt es viele MS-Betroffene, die seit vielen Jahren erkrankt sind und mit der MS leben können. Natürlich, mit dem Alter ändern sich manche Dinge: auch in Bezug auf die MS. Einen guten Überblick über das Thema „MS im höheren Lebensalter“ geben die drei folgenden Artikel: „Besonderheiten und Bedürfnisse der Generation 60 plus“, „Unabhängig bleiben – so gut und lange es geht“ und „Die Seele im Blick behalten“.

Besonderheiten und Bedürfnisse der Generation 60 plus

Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung von Menschen mit MS wächst auch der Anteil an Senior*innen, die von MS betroffen sind. Diese müssen nicht nur mit den Folgen des natürlichen Alterungsprozesses zurechtkommen, sondern auch mit den zunehmenden Herausforderungen, die sich auf körperlicher und sozialer Ebene aus ihrer chronischen Erkrankung ergeben. Um sowohl die Funktionsfähigkeit als auch die Lebensqualität bestmöglich zu erhalten, gibt es einige allgemeine Aspekte zu berücksichtigen.

Der Mensch mit MS heute

In der älteren MS-Generation sind viele bereits seit einigen Jahren erkrankt und werden quasi mit ihrer Erkrankung alt. Nur bei einem geringen Teil, etwa 3–5 %, wird die Erstdiagnose nach dem 50. Lebensjahr gestellt, und bei sehr wenigen wird eine MS erstmals jenseits des 60. Lebensjahrs diagnostiziert.

Eine Abhängigkeit vom Lebensalter findet sich im Zeitraum von der Erstsymptomatik bis zur Diagnosestellung. Während laut Daten des MS-Registers Nordrhein-Westfalen beispielswiese bei 20–29-Jährigen 1,1 Jahre bis zur Diagnose MS vergingen, dauerte es bei 40–49-Jährigen bereits 3,4 Jahre und bei den über 60-Jährigen sogar 7,3 Jahre. Die Unterschiede in der Zeitspanne bis zur Diagnose entstehen dadurch, dass die typischen MS-Symptome im Alter nicht gleich als solche erkannt und zunächst als altersbedingte Veränderungen eingestuft werden.

Verteilung des Alters bei Diagnosestellung (Daten des MS-Registers Nordrhein-Westfalen 2015)

Die MS manifestiert sich überwiegend zwischen dem 20. und 50. Lebensjahr.

Altersverteilung der heutigen MS-Patienten (Daten des MS-Registers Nordrhein-Westfalen 2015)

Aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung von MS-Patienten wächst der Anteil an Senior*innen mit MS.

Die weitaus meisten Betroffenen sind bereits seit vielen Jahren erkrankt und werden quasi mit ihrer MS alt.

Auch das Immunsystem* kommt in die Jahre

Im Zuge normaler Alterungsprozesse kommt es ab Mitte 40 zu einer langsamen Schwächung des Immunsystems. Diesen Prozess bezeichnet man auch als Immunseneszenz* (von lateinisch senescere = alt werden). Das Immunsystem altert also mit und dieses altersbedingte Nachlassen der Immunfunktionen hat eine Reihe klinischer Folgen. Weil die Immunabwehr Krankheitserreger nicht mehr so wirksam bekämpfen kann wie in jungen Jahren, sind ältere Menschen anfälliger für Infektionen. Sie können sich oft nicht mehr so schnell nach schweren Infekten erholen.

Nutzen-Risiko-Bewertung der MS-Behandlungen im Alter

Was bedeutet die veränderte Funktionsfähigkeit des Immunsystems für die ältere Generation mit MS? Zunächst zwei entscheidende Fakten: Bei älteren MS-Betroffenen nimmt die Anzahl der Schübe ab. Treten Schübe auf, so bleibt das Ausmaß der Behinderung durch den Schub oft begrenzt.
Aus diesem Grund sind die regelmäßige Überprüfung und Evaluation der Therapie im Hinblick auf die sich verändernde Erscheinungsform besonders sinnvoll. Dabei wird die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt auch die Wirksamkeit der immunmodulierenden Therapie im Zusammenhang mit dem sich verändernden Immunsystem betrachten. Eine Nutzen-Risiko-Bewertung eines Medikaments muss den Faktor Alter miteinbeziehen.

Noch Fragen? Nimm Kontakt mit unserem MS Service-Center auf, wir freuen uns auf dich und helfen dir gerne weiter.

Behandlung von MS-Symptomen im Fokus

Viele MS-Patientinnen und Patienten erreichen im mittleren Lebensalter eine Krankheitsphase, die durch nachlassende oder fehlende Schübe, aber auch durch einen progredienten Verlauf* mit zunehmenden körperlichen Einschränkungen gekennzeichnet ist. Vor allem Gangstörungen, Störungen der Blasenfunktion, Fatigue und Schmerzen werden von den Betroffenen als besonders beeinträchtigend empfunden. Bei chronischer Progression der MS steht die Behandlung dieser und anderer typischer Symptome im Vordergrund, wobei die MS-bedingten Veränderungen zum Teil nur schwer von altersabhängigen Veränderungen zu unterscheiden sind. Neben der Besserung der Symptome ist der Erhalt eines möglichst eigenständigen Lebens ein wesentliches Ziel der Behandlung, wozu auch der Aspekt zählt, dem Menschen mit MS weiterhin die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen.

Um die Lebensqualität zu erhalten, muss die Behandlung von MS-Symptomen bei der älteren Generation im Fokus stehen.

MS oft nicht die einzige Erkrankung bei Älteren

Mit dem Alter treten vermehrt Begleiterkrankungen (Komorbiditäten*) auf. Häufige Komorbiditäten bei MS sind Depressionen, Angst, Bluthochdruck oder Hypercholesterinämie*. Mit jeder medikamentösen Behandlung, ob von Begleiterkrankung oder der MS selbst, erhöht sich im Alter das Risiko für Nebenwirkungen. Zusätzlich steigt bei jeder Kombination von Medikamenten das Risiko möglicher Wechselwirkungen* der Präparate untereinander. Das sollte bei der individuellen Auswahl der Behandlung beachtet werden und gilt auch für rezeptfreie Arzneimittel oder Nahrungsergänzungsmittel aus Apotheke oder Drogerie. Das bedeutet: Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt sollte unbedingt darüber informiert werden, wenn die Patientinnen oder Patienten mal über den Tellerrand schauen möchten und nicht verschreibungspflichtige Präparate oder Nahrungsergänzungsmittel ausprobieren möchten. Die Einnahme sollte erst nach Rücksprache mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt erfolgen.

Generell sind die Prävention und Behandlung von Komorbiditäten bei den Patientinnen und Patienten mit MS von besonderer Bedeutung. Denn die positiven Effekte, die beim Management von Begleiterkrankungen erzielt werden, können letztlich auch Einfluss auf die MS nehmen und somit die Lebensqualität der Patientin oder des Patienten verbessern.

In Kürze – MS im Alter

  • Das Alter eines Menschen mit MS ist ein wichtiger Faktor bei der Nutzen-Risiko-Bewertung von Immuntherapien.
  • Bei einer aktiven MS sind Immuntherapeutika auch im Alter sinnvoll.
  • Das Management einschränkender Symptome steht bei älteren Patientinnen oder Patienten mit fortgeschrittener MS häufig im Mittelpunkt.
  • Auch die Behandlung von Begleiterkrankungen ist wichtiger Bestandteil der MS-Behandlung in späteren Lebensjahren.
  • Zentrales Ziel der Maßnahmen ist, die Selbstständigkeit und Lebensqualität des älteren Menschen bestmöglich zu erhalten.

  • * Glossar

    Immunseneszenz
    Als Immunseneszenz werden alterungsbedingte Veränderungen im Immunsystem bezeichnet, die zu einer fortschreitenden Verminderung der Immunfunktion führen.

    Immunsystem
    Biologisches Abwehrsystem des Menschen, das die in den Körper eindringenden Krankheitserreger wie Viren, Bakterien oder Parasiten unschädlich macht.

    Komorbiditäten
    Komorbiditäten sind Begleiterkrankungen zusätzlich zu einer bestehenden Erkrankung. Die Begleiterkrankung ist ein eigenes Krankheitsbild und von der Grunderkrankung diagnostisch abgrenzbar.

    Progredienter Verlauf
    Beim progredienten Verlauf schreitet die MS kontinuierlich fort, das heißt, Einschränkungen können hinzukommen, bestehende sich verstärken.

    Hypercholesterinämie
    Als Hypercholesterinämie bezeichnet man eine Fettstoffwechselstörung, die durch einen erhöhten Cholesterinspiegel im Blut gekennzeichnet ist.

    Wechselwirkungen
    Wenn sich Medikamente gegenseitig in ihrer Wirkung beeinflussen, spricht man von Wechselwirkungen. Dadurch kann die Wirksamkeit von Medikamenten verstärkt, verringert oder aufgehoben werden. Auch andere Präparate, Lebensmittel oder Nahrungsergänzungsmittel können mit einem Medikament interagieren. Informationen über mögliche Wechselwirkungen finden sich in den Gebrauchsinformationen der Arzneimittel oder können bei Apotheker*innen und Ärztinnen oder Ärzte erfragt werden.