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MS im höheren Lebensalter

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Das Bild der heutigen Seniorinnen und Senioren hat sich geändert: Wer das Rentenalter erreicht, gehört nicht mehr wie früher zum „alten Eisen“. Nein, man spricht sogar von den „neuen Alten“. Eine eigenständige Generation, die voll im Leben steht. Diese Beobachtung gilt auch für Menschen mit MS. Inzwischen gibt es viele MS-Betroffene, die seit vielen Jahren erkrankt sind und mit der MS leben können. Natürlich, mit dem Alter ändern sich manche Dinge: auch in Bezug auf die MS. Einen guten Überblick über das Thema „MS im höheren Lebensalter“ geben die drei folgenden Artikel: „Besonderheiten und Bedürfnisse der Generation 60 plus“, „Unabhängig bleiben – so gut und lange es geht“ und „Die Seele im Blick behalten“.

Die Seele im Blick behalten

Psychiatrische Erkrankungen kommen bei Menschen mit MS gehäuft vor. Zum einen sind Diagnose und Krankheitsverlauf belastend. Zum anderen können MS-bedingte Entzündungsherde als Auslöser in Frage kommen. Eine Besonderheit bei der Depression im Alter: Sie wird oft nicht auf Anhieb erkannt. Die positive Nachricht: Depressionen lassen sich auch in dieser Lebensphase behandeln – sowohl medikamentös als auch psychotherapeutisch. Wer eine Depression bekommt und wer nicht – das kann nicht vorhergesagt werden. Experten raten zu einer gesunden Lebensweise, um einer möglichen Entstehung frühzeitig etwas entgegenzusetzen. Denn alles, was dem Körper guttut, kann auch für die Seele nicht schlecht sein.

Menschen mit MS werden immer älter

Seit Jahren werden Menschen mit MS immer älter. Als mögliche Gründe werden die hemmende Wirkung von immunmodulierenden Therapien* auf das Fortschreiten der MS aufgeführt, aber auch ein besseres Management von Begleiterkrankungen. Mit der gestiegenen Lebenserwartung wächst der Anteil an Seniorinnen und Senioren, die von MS betroffen sind. Die meisten von ihnen werden mit ihrer Erkrankung alt. Im Laufe der Zeit besteht die Herausforderung für Betroffene darin, nicht nur mit MS-bedingten, sondern auch mit altersbedingten Veränderungen positiv umzugehen. Dabei ändern sich im Alter auch einige Bedürfnisse. Die Berufsfähigkeit steht nicht mehr im Vordergrund. Die Bewahrung möglichst langfristiger individueller Unabhängigkeit und ein „selbstbestimmt leben“ rücken verstärkt in den Fokus.

Seit Jahren nähert sich die Lebenserwartung von Menschen mit MS jener der Normalbevölkerung an.

Der Alterungsprozess mit MS

Altwerden ist etwas ganz Natürliches. Aber was macht den Unterschied zwischen normalem „Altwerden“ und „Altwerden mit MS“? Verminderte körperliche Aktivität tritt bei Betroffenen mit MS meist frühzeitiger auf und kann zeitlich früher stärkere Ausmaße annehmen. Genauso verhält es sich mit den geistigen Fähigkeiten. Auslöser sind unter Umständen Komorbiditäten, also Erkrankungen, die zusätzlich zur MS auftreten können. Mit ihnen steigt das Risiko für eine raschere und stärkere Verschlechterung körperlicher und geistiger Kraft. Eine Verschlechterung dieser altersbedingten Veränderungen kann auch auf die Psyche schlagen.

Körperliche und geistige Defizite können auf die Psyche schlagen

Wer älter wird, merkt häufig, dass er in kleinen, aber merklichen Schritten mit körperlichen, aber auch geistigen Einschränkungen zu kämpfen hat. Fragen rund um die nähere Zukunft werden drängender. Gerade für Betroffene mit MS kann die Situation belastend sein. Da ist es beruhigend zu wissen, dass sich seit Jahren die Lebenserwartung von Menschen mit MS jener der Normalbevölkerung annähert.

Wer mit seiner Situation im Alter zu dem Punkt kommt, dass er sich Unterstützung wünscht, sollte nicht zögern, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denn psychische Belastungen können das Entstehen von Ängsten und Depressionen fördern, was wiederum die Symptome der MS verschlechtern kann. Je früher hier Schritte unternommen werden, desto besser. Die positive Nachricht: Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, konstruktiv anzusetzen. Und das Alter ist kein Hinderungsgrund, Dinge ins Positive zu wenden.

Noch Fragen? Nimm Kontakt mit unserem MS Service-Center auf, wir freuen uns auf dich und helfen dir gerne weiter.

Körperliche und geistige Einschränkungen können die Psyche belasten. Wer sich überfordert fühlt, sollte sich Unterstützung suchen.

Ältere MS-Betroffene mit Depression und Ängsten brauchen Hilfe

Von Außenstehenden werden psychische Erkrankungen im Alter manchmal als „Jeder wird mal alt“ abgetan. Auch wenn schwere Depressionen in der jüngeren MS-Generation häufiger vorkommen, von Zukunftssorgen sind so gut wie alle älteren MS-Patientinnen oder -Patienten über 55 Jahren betroffen. Ist das nur ein kleines Stimmungstief oder eine wirkliche Depression? Die Beantwortung der Frage sollte keinesfalls bagatellisiert werden. Denn Depressionen gehören – wie andere psychische Erkrankungen auch – durch ein Spezialistenteam betreut – auch bei einer Generation mit MS, die langsam in die Jahre kommt. Deshalb ist das Ziel auch jeder MS-Behandlung immer auch das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten. Und zum Wohlbefinden gehört auch das psychische Wohl.

Medikamentöse Behandlung oder Verhaltenstherapie – Depression auch im Alter behandelbar

Die gute Nachricht: Depressionen sind auch im Alter behandelbar. Sowohl Psychotherapie als auch medikamentöse Behandlung sind als mögliche Therapien vorgesehen – einzeln oder kombiniert. So wird versucht, bestimmten Verhaltensweisen entgegenzusteuern, die bei einer Depression häufig vorkommen können. Die behandelnde Fachärztin oder der behandelnde Facharzt wird eine entsprechende Behandlungsoption vorschlagen und mit dem Betroffenen besprechen. Allerdings sind einige altersspezifische Dinge zu berücksichtigen. Bei einer medikamentösen Behandlung ist eine sorgfältige Auswahl des Antidepressivums durch die Ärztin oder den Arzt noch wichtiger als bei jüngeren Patientinnen und Patienten. Denn in der Regel nehmen ältere Menschen mehrere Medikamente ein. Die Folge kann sein, dass es zu Wechselwirkungen zwischen den Medikamenten kommen kann.

Für die Behandlung einer Depression im Alter ist es nie zu spät. Das gilt nicht nur für eine medikamentöse Behandlung, sondern auch für die kognitive Verhaltenstherapie. Der Anteil der über 60-jährigen Patientinnen und Patienten mit psychischen Erkrankungen, die sich in psychotherapeutischer Behandlung befinden, ist allerdings immer noch viel zu gering. Und: Von einer unzureichenden Behandlung sind gerade Männer betroffen. Eventuell hängt das damit zusammen, dass über Gefühle der Schwäche zu sprechen gerade bei vielen Männern der älteren Generation immer noch ein Tabu ist. Höchste Zeit, Mut zu fassen, über den eigenen Schatten zu springen und im Fall der Fälle über die eigene Seelenlage zu sprechen.

An erster Stelle der Behandlung steht neben der Kontrolle der Krankheitsaktivität das psychische Wohlergehen. Egal in welcher Altersgruppe.

Depression – einige altersspezifische Aspekte der Diagnose

Eines der Probleme im höheren Alter besteht oft darin, dass Depressionen nicht erkannt werden. Häufig liegen zusätzlich zur Depression andere Erkrankungen vor, die eine Depression überlagern und verdecken können. So werden Schlafstörungen, Erschöpfungszustände, Appetitstörungen und andere Krankheitszeichen einer Depression immer wieder als Folge dieser anderen Erkrankungen gesehen – und nicht als das Symptom einer eigenständigen Depression.

Auch Betroffene und auch deren Angehörige tragen mitunter unfreiwillig dazu bei, dass Depressionen nicht erkannt werden. Sie neigen dazu, Gefühle von Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit vorschnell als eine „nachvollziehbare Reaktion“ auf körperliche Beeinträchtigungen, erlittene Verluste oder andere scheinbar unvermeidliche Begleiterscheinungen des Alters zu begreifen. Gerade die Coronavirus-Pandemie mit ihren Einschränkungen kann diese Tendenzen noch verstärken.

Ein weiterer Aspekt macht die Diagnose von Depressionen, die erstmals im Alter auftreten, schwer: So treten Symptome wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen nicht nur oft bei Depressionen auf, sondern können auch Kennzeichen einer Demenz sein. Umso wichtiger ist deshalb eine genaue Diagnose. Die Untersuchung des Gehirns (z. B. durch MRT) und eine sorgfältige Labordiagnostik (z. B. um Schilddrüsenerkrankungen auszuschließen) sind hier besonders gefordert.

Empfehlung: in Arztgesprächen die psychische Situation selbst thematisieren

Wie gesagt, eine Depression im Alter ist oft nicht leicht erkennbar. Manchmal können selbst behandelnde MS-Spezialistinnen und -Spezialisten nicht auf Anhieb erkennen, wie es um das seelische Wohl ihrer Patientinnen und Patienten steht. Deswegen ist es sinnvoll, wenn Symptome wie gedrückte Stimmung, Interesse- und Freudlosigkeit oder Antriebslosigkeit länger anhalten, dies bei seiner behandelnden Ärztin oder seinem behandelnden Arzt aktiv anzusprechen.

Auf alle Fälle gilt: Insbesondere Medikamente – auch solche, die freiverkäuflich sind – sollten nie in Eigenregie angewendet werden, sondern immer in Abstimmung mit dem Ärzteteam. Eine gute Ergänzung zu einer medikamentösen Behandlung oder einer Verhaltenstherapie kann es sein, die Unterstützung von Selbsthilfegruppen anzunehmen. Hier kann mit Menschen kommuniziert werden, die für sich schon eine Strategie zur Entlastung der Seele gefunden haben und mit ihrer Erkrankung gut umgehen.

Auch auf diesem Portal bietet sich in der MScommunity die Möglichkeit, sich mit anderen zum Beispiel in der Rubrik „MS und Alltag“ über das Thema auszutauschen.

Studienergebnisse einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2019 durch die Stiftung Deutsche Depressionshilfe
(5.450 Teilnehmer zwischen 18 und 79 Jahren)

Depression im Alter – oft unterschätzt

Die Behandlung von Ängsten und Depressionen ist wichtig, auch wenn sie von Betroffenen, aber auch von Angehörigen oft unterschätzt werden.

  • 83 % glauben, dass Depressionen am häufigsten im jungen und mittleren Erwachsenenalter auftreten.
  • 74 % gehen davon aus, dass Depressionen im Alter schlechter erkannt werden.
  • 22 % meinen, dass bei älteren Personen die Behandlung körperlicher Erkrankungen wichtiger ist.
  • 17 % sprachen sich sogar dafür aus, Ressourcen des Gesundheitssystems lieber für die Behandlung jüngerer Betroffener auszugeben.

Woran erkennt man eine Depression?

  • Gedrückte Stimmung
  • Interessen- oder Freudlosigkeit
  • Antriebsmangel bzw. erhöhte Ermüdbarkeit
  • Vernachlässigung sozialer Kontakte
  • Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit
  • Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen
  • Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit
  • Negative und pessimistische Zukunftswahrnehmung
  • Schlafstörungen
  • Verminderter Appetit

Mobil und agil alt werden bewahrt der Seele ihr Lächeln

Jede bzw. jeder MS-Betroffene kann jederzeit – auch im höheren Alter – Maßnahmen ergreifen, um den Alterungsprozess ein wenig hinauszuzögern. Wer sich gesundheitsbewusst verhält, den wird auch seine Situation seelisch nicht so belasten. Und dafür ist es nie zu spät. Man sagt: „Wenn sich der Körper in Balance befindet, dann hat auch der Geist seine Mitte gefunden.“ Wichtig ist, heute schon an morgen zu denken. Sicherlich lässt sich der Alterungsprozess generell nicht aufhalten – aber mit einem gesunden Lebensstil kann jeder dazu beitragen, diesen zu verlangsamen und auch die MS-Symptome günstig zu beeinflussen. Dann ist auch das Risiko für psychische Erkrankungen nicht mehr so hoch.

Der Wechsel hin zu einem gesundheitsbewussten Lebensstil kann auch im hohen Alter zum Nutzen der Gesundheit und damit zum seelischen Wohl beitragen.

Was gehört zu einer gesunden Lebensführung mit MS?

Zu einer gesunden Lebensführung mit MS gehört eine effektive MS-Therapie, die Behandlung von Begleiterkrankungen sowie ein allgemein positives Gesundheitsverhalten. Damit lässt sich die Lebensqualität erhöhen. Jede bzw. jeder MS-Betroffene kann über seinen derzeitigen Lebensstil nachdenken. Beherzigt er die Empfehlungen seines Ärzteteams? Wendet er die empfohlene Therapie regelmäßig an? Werden Kontrolltermine termingerecht wahrgenommen? Wie sieht es mit der Ernährung aus? Kann ich in meinem Tagesablauf für etwas mehr Bewegung sorgen? Wie kann ich meine Kognition* stärken? Wie sieht es mit Stressfaktoren aus? Oder Rauchen und Übergewicht? Werden mögliche Begleiterkrankungen bestmöglich behandelt?

Noch Fragen? Nimm Kontakt mit unserem MS Service-Center auf, wir freuen uns auf dich und helfen dir gerne weiter.

Wer auf eine gesunde Lebensweise achtet, der tut auch langfristig seiner Psyche etwas Gutes.

10. Oktober: Tag der seelischen Gesundheit

Seelische Hochs und Tiefs kennt jeder. Wenn eine psychische Krise aber länger anhält, dann ist ein Gespräch mit Fachleuten ratsam. Am Tag der seelischen Gesundheit kann man sich unverbindlich über Einrichtungen und Behandlungsmöglichkeiten von psychischen Erkrankungen informieren. Die Veranstalter haben das Ziel, Berührungsängste der Betroffenen und deren Angehörigen abzubauen.

8 Tipps für einen gesunden Lebensstil mit MS

  • Die Behandlung entsprechend der ärztlichen Empfehlung anwenden.
  • Vereinbarte Untersuchungstermine wahrnehmen.
  • Auf die Ernährung achten. Bevor Ernährungsgewohnheiten geändert werden, bitte mit der Ärztin oder dem Arzt sprechen und sich von spezialisierten Fachleuten beraten lassen. Sie können unterstützen und nützliche Tipps geben.
  • Mit dem Rauchen aufhören – dazu haben wir hilfreiche Informationen zusammengestellt.
  • Auf regelmäßige Bewegung achten. Mit der Ärztin oder dem Arzt besprechen, was guttun könnte.
  • Sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Stress vermeiden.
  • Den Geist regelmäßig trainieren.
  • Sich regelmäßig Dinge gönnen, die Freude machen.

  • *Glossar

    Immunmodulierende Therapien
    Immunmodulierende Therapien können dazu beitragen, bei Autoimmunreaktionen, die sich gegen das eigene Gewebe richten, unerwünschte und schädliche Immunantworten einzudämmen und erwünschte und lebensnotwendige Reaktionen zu stimulieren.

    Depression
    Aus medizinischer Sicht ist die Depression eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen beeinflusst, mit Störungen von Körperfunktionen einhergeht und erhebliches Leiden verursacht. Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, können sich selten allein von ihrer gedrückten Stimmung, Antriebslosigkeit und ihren negativen Gedanken befreien.

    Gesundheitsbezogene Lebensqualität
    Der Begriff beschreibt, wie sich der Gesundheitszustand auf das Befinden des Einzelnen auswirkt: körperlich (physisch), seelisch (psychisch), geistig (kognitiv, mental) und sozial (in Beziehungen).

    Kognition
    Der Begriff Kognition wird als Sammelbezeichnung für die geistige Aktivität verwendet. Dazu gehören Dinge wie Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Erinnerung, Lernen, Problemlösen, Kreativität, Vorstellungskraft, Argumentation, Planen oder auch Orientierung.

    Komorbiditäten
    Komorbiditäten sind Begleiterkrankungen zusätzlich zu einer bestehenden Erkrankung. Die Begleiterkrankung ist ein eigenes Krankheitsbild und von der Grunderkrankung diagnostisch abgrenzbar.

  • Weiterführende Infos

    MS Service-Center
    Die MS-Coaches im MS Service-Center sind mit dem Thema Depression vertraut. Sie bieten konkrete Unterstützung und geben wertvolle Tipps – kostenfrei und zuverlässig.

    Cleo
    Auf der Cleo App finden sich unter „Programme“ verschiedene Trainingsprogramme.

    Stiftung Deutsche Depressionshilfe
    Die „Stiftung Deutsche Depressionshilfe“ arbeitet mit dem Deutschen Bündnis gegen Depression e. V. kontinuierlich daran, die Versorgung von depressiv Erkrankten zu verbessern. Deren Portal bietet umfassende Infos und Serviceangebote – auch zum Thema Depression im Alter.

    „GESUND UND AKTIV älter werden“ ist das Motto, unter dem die „Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung“ ein Portal betreibt. Bei den „Gesundheitsthemen“ werden Aspekte wie Bewegung, Ernährung, Schlaf, koronare Herzerkrankungen altersspezifisch thematisiert – genauso wie das Thema Depression. Im Servicebereich finden sich u. a. Publikationen mit Bewegungstipps und zur Stärkung von „Gleichgewicht und Prävention“.